Auf dem Darß

Viel früher war die Ostsee langweilig im Vergleich zur Nordsee, die Gezeiten wirkten auf meine Kinderaugen viel weniger eindrucksvoll, als wenn wie im Wattenmeer, das Wasser für Stunden einfach verschwindet, und dann ebenso mächtig wiederkommt, die Füße im Schlick umspült. Die warnenden Töne der Elterngeneration stets in den Ohren von der Kraft der Wassermassen und der Gefahr mitgerissen zu werden und zu ertrinken. Na klar, der Ostsee fehlen Wattwürmer, Priele und der Blick auf die Ostfriesischen Inseln, aber spätestens seit ich ausreichend frei schwimmen kann und nicht mehr nur Sandburgen am Strand baue nehme ich auch die Vorteile der baltischen Küstenstrukturen wahr, und seit einer Fahrradtour um das Stettiner Haff vor vielen Jahren habe ich viele Seeadler gesehen und war allein darum schon entzückt, dass ich immer wieder gerne vorbeischaue.

Wenn ich überlege, was das persönlich typischste für einen Besuch der Ostsee ist, dann gehört in die engere Auswahl sicher der nach vorn übergebeugte Gang. An der Wasserkante entlang schweift dann nämlich der Blick über das, was die Wellen der vergangenen Tage und Wochen angespült haben und entbehren. Da ist immer wieder die Faszination für die andere Welt, die da draußen ist, und sich unter den fragilen Muschelschalen und dem Dreck der verschiedenen Zeiten nur erahnen lässt.

Dann ist da auch der Wind, der den „Geruch nach Meer“, nach Seetang, Fisch und Moder an den Strand trägt, und das Kreischen der Vögel, das es niemals schafft, das stete Rauschen der brechenden Wellen zu unterbrechen. Die sich ändernden Farben zu allen Tageszeiten. Und das alles lädt ein zu sehnsüchtigen Blicken ganz weit nach draußennach draußen.

Sandburgen baue ich keine bei diesem Besuch, aber ganz sicher ist dies nicht meinem Alter geschuldet, sondern der Tatsache, dass es dann doch zu kalt ist im Januar. Die Hände frieren schnell im feuchten Wind, das ich mich kaum in der Lage sehe, für längere Zeit eine Schaufel und ein Sieb zu halten. Außerdem habe ich beides nicht eingepackt für die Woche an der Ostsee. Im Strandgut gibt es aber genug zu entdecken, all die Farben, die dem grauen Wintersand ein Lächeln abtrotzen, einfach so, am baltischen Meer. Und die Erkenntnis, dass anschauen reicht, denn Steine, die in meine Tasche wandern, verlieren rasch in der Trockenheit und Wärme der Innentaschen ihre Leuchtkraft und ihre Geschichte. Nur leichte, aber ernsthafte Verzweiflung bringen meine Recherchen in Bezug auf Bernstein am Meer, das sollen doch die besten Orte sein, besonders der Weststrand sei voll damit, außerdem war es seit unserer Ankunft hier doch ganz schon windig, neues Strandgut! Also los, jeden Tag und immer wieder schauen! Doch so sehr ich mich auch anstrenge, für mich ist das alles Bernstein, was da glänzt und wandert in den Beutel, und leuchtet zu Hause und im Trockenen doch immer wieder wie ein Kiesel aus dem Meer. So bleiben die Blicke auf die Bernsteinkunst in den Boutiquen des Ortes und in den Ohren das „You can´t always get what you want“.… 

Die Kraft des Meeres zeigt sich hier an der Ostsee an dem Land, das sich die See immer mal wieder holt, die Bäume an den steilen Küstenabschnitten, die allmählich zurück in das Wasser gezogen werden. Immer in Bewegung das Land. Der Darß erst wenige Tausend Jahre alt, bleibt dynamisch, Land wird an einer Stelle abgebaut, an der anderen aufgebaut. Der Leuchtturm noch sicher an Land und auf Eichenpfählen verankert, soll in 50 Jahren im Wasser stehen.

In den Wäldern überall Spuren von Wildschweinen, die sich dann auch mal zeigen. Beim Joggen entlang dichter Waldabschnitte machen sie mir fast Angst mit ihrem aufgeregten Gegrunze, obwohl sicher nicht bedrohlich gemeint, bei mir so ankommt. Letztendlich ist nichts passiert, ich genieße die Abwesenheit strenger regulatorischer Forstmaßnahmen – den Urwald – und bewundere die bizarren Formationen der älteren und jüngeren Bäume, jeder Baum ist besonders und manche lassen mich ehrfürchtig staunen. Und Austernpilze und Rothirsche haben wir gesichtet.

Und frischen Fisch gab es, direkt vom Fischer, noch zappelnd frischer Fisch, der den Geschmack nach Frische für mich neu definiert, direkt aus dem Bodden, gegenüber vom Meer. 

Was bleibt nach einer guten Woche sind sicherlich die Blicke auf das Weite des Wassers. Die Bilder vom Horizont verweilen in meinen Gedanken, in Blau und Grau und ich spüre Kälte und Wärme des Landzuges zwischen Bodden und Meer. Und ein Wiedersehen wurde vereinbart, zum Sandburgen bauen, Bernstein finden und tanzen in den Wellen.

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